Die Studie «Tranquillity Map des Schweizer Mittellandes» ist ein konkretes Beispiel dafür, was nachhaltiges Investment bewirken kann – für Umwelt, Mensch und Tier.

«Es war um Ostern 2020. Trotz der bundesrätlichen Empfehlung zuhause zu bleiben, zog das schöne Frühlingswetter viele Menschen nach draussen. Stadtpärke, Stadtwälder, auch bekannte Ausflugsorte wurden in hoher Zahl aufgesucht und mussten manchmal sogar abgesperrt werden, da vielerorts in den Grünanlagen und den Naherholungsgebieten ein Social Distancing nicht möglich war.

«Es gibt nebst der akustischen auch die visuelle Ruhe in der Landschaft.»

Meine Tagebucheinträge aus dieser Anfangszeit der Coronakrise drehten sich immer wieder um die plötzliche, unerwartete Ruhe in der Natur. Kein Flugzeug am Himmel, kein Motorboot auf dem Bielersee, verwaiste Bahnlinien und eine Stadt in fast verträumter Abgeschiedenheit. ‚Ruhe‘ oder ‚Stille‘ beschreiben nur schlecht diese neue akustische Erfahrung.

Der stadtnahe Wald wurde nun nicht einfach zum klanglosen Raum, im Gegenteil! Das ostentative Hintergrundrauschen des Verkehrs war gedämpft, dafür das Hören und Erleben unterschiedlichster Klanghorizonte möglich. Das Rascheln der Eidechsen unter den Blättern erfüllt vielleicht einen Raum von zwei Kubikmetern, während der Schrei des Schwarzspechts aus 50 Meter Entfernung noch zu hören ist. Es schien, als bewege man sich klanglich in mehreren Sphären.

Ruhe als Qualitätsmerkmal

Nach dieser Frühlingserfahrung im Lockdown 2020 tauchte die Frage auf, wie es denn im lärmgeplagten Mittelland mit den ruhigen Gebieten eigentlich stünde. Die Idee der ‚Tranquillity Map des Schweizer Mittellandes‘ auf der Basis englischer Vorlagen war geboren. Damit bekommt die Landschaft die Qualität eines Auditoriums, und die Ruhe kann als Qualitätsmerkmal in die Landschaftsplanung integriert werden.
Wichtiges Ergebnis: Es gibt nebst der akustischen auch die visuelle Ruhe in der Landschaft. Tranquillity beinhaltet über das Wort Ruhe hinaus auch die Erfahrung der Stille, Ausgeglichenheit, Gelassenheit, Friedlichkeit, Beschaulichkeit. Etwas dürftig zeigt sich hier das Schweizer Umweltrecht, das die Klangumwelt einzig auf eine Lärmschutzfrage reduziert. Kann das Mittelland also, wo sich rund zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung in den Netzstadtraum zwischen Genf und St. Margarethen drängen, auch ruhige Naherholungsgebiete im visuellen wie auch akustischen Sinne bieten? Unsere Studie sagt Ja!

Erholung im Mittelland fördern

Die in Zusammenarbeit von Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und Lehrstuhl PLUS der ETH Zürich im Mai bis Juli 2020 erarbeitete «Tranquillity Map des Schweizer Mittellandes» erfasst insgesamt 53 Ruhegebiete mit einer Mindestgrösse von fünf Quadratkilometern. Die Karte und die Tabelle der einzelnen Gebiete ist auf der Webseite sl-fp.ch publiziert.

Die Gemeinden haben mit der Karte die Möglichkeit, kontemplative, sanfte, nicht-motorisierte Erholung im Mittelland zu fördern, das ÖV-Angebot gezielt zu stärken (zum Beispiel Rufbusse) und planerisch die Gebiete stärker vor Störungen zu bewahren. Dies betrifft selbstverständlich auch die Erholungsaktivität selber.»

von Raimund Rodewald in Zusammenarbeit mit Prof. Adrienne Grêt-Regamey

Autor

Raimund Rodewald ist promovierter Biologe und seit 1992 Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz in Bern. 2008 erhielt er den Ehrendoktor der juristischen Fakultät der Uni Basel. Er ist Gastdozent an der ETH Zürich und unterrichtet Landschaftsästhetik.
www.sl-fp.ch

Illustrationsbild: © adobestock / lilymary