Nach einem Jahrzehnt starken Wachstums durchliefen nachhaltige Anlagen jüngst eine schwierigere Phase.

Für nachhaltige Fonds war 2022, vor dem Hintergrund einer schwachen Performance von Aktien- und Anleihenmärkten, ein herausforderndes Jahr. Allein in der Schweiz schlossen nachhaltige Fonds mit einem verwalteten Vermögen von insgesamt 1,61 Billionen Franken (1,81 Billionen US-Dollar) und lagen damit 19 Prozent unter dem Wert des Vorjahres. Die beiden Finanzdatenanbieter Morningstar und Refinitiv Lipper schätzen jeweils, dass das verwaltete Vermögen von Fonds mit einer Ausrichtung auf ESG-Themen (Umweltschutz, soziale Verantwortung und Unternehmensführung) per Ende 2022 fast 2,5 Billionen US-Dollar betrug, was einen Rückgang um rund 10 Prozent gegenüber dem Jahr 2021 darstellt.

Und doch: Doch trotz des Rückgangs der Vermögenswerte bin ich der Meinung, dass die Chancen für nachhaltige Anlagen nie besser waren, insbesondere in der Schweiz.

Zunächst einmal sollte man sich den Umfang der Aufgabe vor Augen halten. Angesichts der notwendigen Investitionen für eine Netto-Null-Wirtschaft, ist die Grösse des Marktes für Nachhaltigkeitsinvestitionen vergleichsweise klein. Auf Basis einiger Schätzungen müssen weltweit zusätzliche 3,5 Billionen US-Dollar jährlich investiert werden, um bis zum Jahr 2050 eine Netto-Null zu erreichen.

Um diesen hohen Kapitalbedarf zu decken, müssen multinationale Organisationen, Regierungen und der Privatsektor zusammenarbeiten. Finanzierungen und Anlagefonds spielen eine kritische Rolle, um das Kapital dorthin zu leiten, wo es am dringendsten benötigt wird.

Die gute Nachricht lautet, dass sehr viel Kapital vorhanden ist. Ende des Jahres 2022 wies die Vermögensverwaltungsbranche weltweit ein Vermögen von mehr als 115 Billionen US-Dollar aus. Nun ist es entscheidend, einen grösseren Anteil der traditionell investierten Anleger davon zu überzeugen, Nachhaltigkeitsstandards zu berücksichtigen.

Theoretisch sollte dies nicht weiter schwierig sein. Fast jede Woche beobachten wir, wie multinationale Organisationen, Regierungen und Regulierungsbehörden zusätzliche Klimaverpflichtungen abgeben. Gegenwärtig werden über 90 Prozent des weltweiten BIP durch eine Netto-Null-Verpflichtung abgedeckt.

Damit solche Versprechen erfüllt werden, sind aber sowohl Regeln als auch Anreize notwendig, um die Unternehmen zu mehr Umweltfreundlichkeit zu bewegen. Beispielsweise stellen Regulierungsbehörden zunehmende Fragen über die Klimaauswirkungen der Wirtschaftstätigkeit. Gleichzeitig weiten Regierungen die Anreize für eine wirtschaftliche Umstellung aus. Der Inflation Reduction Act der USA ist ein wichtiges Beispiel dafür. Unter anderem bietet er Steuererleichterungen und Investitionen im Umfang von 500 Milliarden US-Dollar für den Ausbau der sauberen Energie.

Diese Kombination aus Regeln und Anreizen trägt dazu bei, technologische Fortschritte von bisherigen Nischenanbietern rasant voranzutreiben. Wärmepumpen ersetzen in den Privathaushalten bereits Gasheizkessel und wir erleben die Markteinführung von umweltfreundlichem Treibstoff auf Wasserstoffbasis und Technologien zur CO2-Abscheidung. In den kommenden Jahren könnte es Fortschritte in weiteren Bereichen geben, wie bei der Massenherstellung von Festkörperakkus und der umweltfreundlicheren Stahlproduktion Dank erneuerbaren Energien.

Die Finanzbranche durchläuft einen ähnlichen Wandel. Das Konzept der treuhänderischen Verantwortung ändert sich, wobei schon viele Vermögenseigentümer (wie staatliche Pensionsfonds) sowie Anlageverwalter in Europa die Risiken des Klimawandels in ihren Portfolios berücksichtigen. Fondsmanager wägen unterdessen die Konsequenzen der neuen Klimaregeln ab. Wer am schnellsten die Vorreiter in dieser sich wandelnden Industrie erkennen kann, wird einen Wettbewerbsvorteil haben. Aufgrund ihrer Konzentration dürften nachhaltigkeits-
orientierte Anlegerinnen und Anleger besonders gut positioniert sein. 

Eine Schweizer Lösung

Die Schweiz hat die Gelegenheit erkannt, in dieser sich schnell entwickelnden Situation eine wichtige Rolle zu spielen.

Im Jahrzehnt bis 2022 hat unser Land, im Vergleich zum vorindustriellen Durchschnitt, bereits eine durchschnittliche Temperaturerhöhung von 2,5° Celsius erlebt. Die Öffentlichkeit ist sich des Problems bewusst, was die Abstimmung zur Genehmigung des Bundesgesetzes über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit vom Juni belegt. 

Als ein führendes Finanzzentrum verfügt die Schweiz auch über die Infrastruktur und das Fachwissen, um zukünftige nachhaltigkeitsgebundene Produkte aus der Vielzahl der neuen Anlagemöglichkeiten zu entwickeln. In der Tat gibt es bereits Anzeichen, dass sich die Branche für nachhaltige Anlagen innerhalb des Landes verändert.

Swiss Sustainable Finance schätzt, dass sich im Jahr 2022 85 Prozent aller selbst erfassten nachhaltigkeitsbezogenen Anlagen in der Schweiz in Fonds mit anspruchsvolleren Strategien investiert wurden. Lediglich 15 Prozent verwendeten einen einfachen Ausschluss- oder Integrationsansatz.

Durch die staatliche Unterstützung nachhaltiger Anlagen sendet die Schweiz auch ein deutliches Signal an die globale Finanzwelt. Im Juni 2022 führte die Regierung in Zusammenarbeit mit der Finanzbranche die Swiss Climate Scores ein, um die Klimaausrichtung von Finanzanlagen transparent zu bewerten. Sie sind ein wichtiger Schritt, um Anlegerinnen und Anlegern dabei zu helfen, ihr Kapital auf mehr Nachhaltigkeit auszurichten.

Längerfristig bin ich der Meinung, dass sich alle Bereiche der Anlagefondsbranche auf universelle nachhaltige Anlagestandards einigen können und Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels aktiv unterstützen werden. Die Swiss Climate Scores zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Bund und der Finanzbranche die Schaffung nachhaltiger Anlageinstrumente fördern kann und zukünftig das Angebot verfügbarer Anlageklassen ausweiten könnte. Die heutigen Nachhaltigkeitsfonds legen ihr Geld hauptsächlich in Aktien und Anleihen an. In der Zukunft könnten sie ihr Angebot auf private Anlageklassen, virtuelle Währungen und freiwillige Märkte für Emissionszertifikate ausweiten.

Wir sind hoffentlich nicht mehr allzu weit von einer Zeit entfernt, in der der Begriff der nachhaltigen Anlagen überflüssig wird, weil alle Fonds standardmässig Nachhaltigkeitsüberlegungen berücksichtigen werden.

In der Zwischenzeit sollten wir so viele Fondsmanager und Vermögenseigentümer wie möglich einladen, Nachhaltigkeitskriterien anzuwenden. Es handelt sich hierbei um eine Anlagestrategie, die das Potenzial hat, uns langfristig alle zu Gewinnern zu machen – unabhängig davon, wie sich die Märkte bewegen.

Christine Gugolz ist Head Sustainability Strategy bei UBS. www.ubs.com