Grosse, börsenkotierte Unternehmen sind mächtig. Sie orientieren permanent über ihre Tätigkeit, achten auf Compliance, betreiben Lobbying.

Bei einem Skandal erhalten zuerst Individuen volle Aufmerksamkeit. Je umfassender das Fehlverhalten, desto mehr richtet sich der Blick auf die Kontrollmechanismen.

Unsägliche Manipulation

In Deutschland gehören die Automobilkonzerne zum Inventar nationaler Heiligtümer. Die Ökologie des Verbrennungsmotors und die Übermotorisierung wurden lange Zeit nicht hinterfragt.

Benzin- und Dieselmotoren galten vielmehr als ökologische Wunderwerke; man schonte das Gewissen. In Wirklichkeit waren sie ein Problem. Luftgrenzwerte wurden oft um den Faktor 4 bis 7 überschritten; dies kostete jährlich Menschenleben, von den Auswirkungen aufs Klima ganz zu schweigen.

Die deutschen Auto-Bosse lösten das Problem, indem sie ihre Karossen mit Schadsoftware manipulierten. Die Umweltämter wussten davon. Sie schauten weg. Angela Merkel versprach auf der Jahrestagung 2007 des Bundesverbands Deutsche Industrie (BDI), sie werde «mit aller Kraft, die ich habe» gegen schärfere Abgaswerte in Brüssel vorgehen. Den TÜV-Prüfern wurde untersagt, die Motorensoftware zu untersuchen.

Wie kam die Sache ans Licht? Hinweise auf Manipulation bei VW gab Peter Mock, Direktor beim International Council on Clean Transportation (ICCT). Weil er seine Chancen vor deutschen Gerichten als gering einschätzte, brachte er einen VW Jetta – die Abgaswerte lagen 35-fach über dem Grenz-wert – mit Unterstützung der West Virginia University vor ein US-Gericht. Der Rest ist Geschichte. Milliardenbussen für VW, Schuldsprüche für Konzernmanager und Konzerne.

Ausgehungerte Solarindustrie

Die schlimmsten Folgen des Fehlverhaltens stehen aber erst bevor. Schon in den Nullerjahren suchte ein gewisser Elon Musk nach Alternativen zum Verbrennungsmotor. Damals boomten die erneuerbaren Energien, deutsche Hersteller waren Weltmarktführer; die Kosten von Wind- und Solarstrom segelten auf Sinkflug. 

Davon wollte aber das Establishment in Deutschland partout nichts wissen. Nur Atomstrom sei sauberer Strom, trompeten Wirtschaftskapitäne und Politiker von rechts durchs ganze Land. Elektromotoren für Lastwagen verletzten gar «Gesetze der Physik», erklärte Daimler-Chef Martin Daum. 

Die erfolgreiche deutsche Solarindustrie wurde bis auf den letzten Anbieter ausgehungert. Wind-, Solar-, Batterie- und Stromauto-Firmen wanderten nach China. Dort wurden sie mit Milliardenkrediten willkommen geheissen.

Schuld sind die anderen

Bis heute schafft es Deutschland nicht, kostengünstige elektrische Kleinwagen zu bauen. Dass China nun den einstigen Exportweltmeister überrundet, sorgt im nördlichen Nachbarland für Endzeitstimmung. Schuld sind jetzt die anderen: der Staat, die «Ampel», die Umweltorganisationen. 

In Wirklichkeit schaufelten die Konzern-Chefs voller Inbrunst ihr eigenes Grab: durch die Affenliebe zu Atomenergie, zu Verbrennungsmotoren gepaart mit Widerwillen gegen eine tragfähige Klimapolitik. Deutsche Ambitionen in der Software-Entwicklung gipfelten darin, Kundschaft und Staat zu betrügen. Heute kommt die Quittung. Es fehlt an fast allem: Moderne Batterietechnik, integrierte Versorgungsketten, erfahrenes Personal.

Wer mit dem Rücken zur Zukunft unterwegs ist, stirbt im Wettbewerb der Ideen. Nachhaltigkeit ist Chefsache. Die Klimakrise ist existenziell. Wer darauf keine Antworten sucht, gefährdet sein Unternehmen.

Autor:

Rudolf Rechsteiner Ökonom und Buchautor, ist Präsident der Stiftung Ethos (Genf), Verwaltungsrat der Pensionskasse Basel-Stadt und Lehrbeauftragter für neue erneuerbare Energien (ETH Zürich, Uni Basel, Uni Bern). Als Nationalrat (1995-2010) engagierte er sich für die Marktöffnung im Stromsektor und für eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien.

 

Illustrationsbild: © adobestock / elcovalana